Heimatblätter – Beiträge a. d. Altenburger und Bornaer Land (16)

Heft 16 – mit dem Thema „Heimat und Fremde“ (2015)

Heimat ist für uns alle ein Sehnsuchtsort, ganz gleich, ob wir uns dort, wo wir leben, zu Hause oder fremd fühlen. Zunehmend verbindet sich das Wort Heimat allerdings für immer mehr Menschen mit Verlusterfahrungen. Das betrifft selbst solche Personen, die ihre Herkunftsregion gar nicht verlassen mussten. Übrigens ist das kein Phänomen der jüngsten Zeit. Unbehaglich wurde es für unsere sächsischen Vorfahren bereits zur Zeit der preußischen Invasion im 18. Jahrhundert. Helmut Hentschel hat dafür zahlreiche Belege bei den alten Ortschronisten gefunden und für uns aufgeschrieben. Dieses Heft enthält den ersten Teil seiner umfangreichen Ausarbeitungen.

In einem Interview während der Themenwoche zur Heimat, die der MDR im Herbst 2015 durchführte, äußerte der Leipziger Maler Hartwig Ebersbach, dass man erst in der Fremde wirklich begreife, was Heimat bedeutet. Damit hat er wahrscheinlich Recht. Wie schwer es ist, sich fernab von jener Gegend, in der man groß wurde, zurechtzufinden, davon können heutzutage viele berichten. Wir haben in dieses Heft nur einige, sich darauf beziehende Lebensberichte aufgenommen. So erzählt Günter Neubauer davon, wie er bereits als Kind während der Flucht aus seiner Heimat zeitweise zum Beschützer der Familie werden musste. Sabine Raabe blickt auf das Leben ihrer Mutter zurück, einer Ostpreußin, die es ins Bornaer Land verschlagen hatte. Elisabeth Brokowski berichtet über ihren Weg von Ungarn nach Mitteldeutschland. Angesichts der thematischen Ausrichtung dieses Hefts unserer Schriftenreihe schien es uns wichtig, auch solche sehr persönlich gehaltenen Texte aufzunehmen. Natürlich soll gleichzeitig der regionalgeschichtliche Anspruch, den wir mit unseren „Heimatblättern“ verbinden, gewahrt bleiben. Dabei geraten weitere, ganz andere Perspektiven auf die Beziehung von Heimat und Fremde in den Fokus.

Auf der Suche nach einträglicher Arbeit gelangten Bayern nach Deutzen, ein Beispiel für Wirtschaftsmigranten aus einer ganz anderen Zeit als der unseren. In ihrer neuen Umgebung suchten sie sich zu behaupten, indem sie ihre Traditionen pflegten. Längst wurden sie zu einem selbstverständlichen Teil der Deutzener Bevölkerung.

Auch, dass man Fremden mit Misstrauen, ja geradezu Gehässigkeit begegnet, ist kein heutiges Phänomen. Das musste bereits der aus Dresden stammende Großhermsdorfer Pfarrer Mehlhose erleben. Der durch seine verdienstvollen Forschungen zur Regionalgeschichte bekannte Theologe geriet zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seiner Kirchgemeinde in einen so tiefen Konflikt, dass man ihm riet, sich eine neue Pfarrstelle zu suchen. Auch dieser Geschichte ist einer unserer Beiträge gewidmet. Fremden, als andersartig empfundenen Menschen verweigerte man ebenfalls schon früher viele Rechte. Die von Dorit Bieber aufgeschriebene Geschichte der Adoption eines Juden durch eine adlige Dame ist sicherlich ein Sonderfall. In die Ablehnung der Adoption aufgrund der ethnischen und religiösen Herkunft spielt noch das Elitebewusstsein der Adelsschicht hinein, die durch Abschottung ihren exklusiven Charakter zu wahren beabsichtigte. Die Geschichte des Bornaer und Altenburger Landes war stets auch eine von Zuzug und Einwanderung. Das beginnt keineswegs erst mit den Siedlern des Hochmittelalters, die Wiprecht von Groitzsch in unsere Region holte. Denjenigen, die hier heimisch wurden, verdanken wir vieles. Leider ist manches davon aber auch schon wieder verschwunden. Das trifft auf das Barockschloss Deutzen zu, von dessen Bauherrn Erwin Rümenapps Beitrag erzählt.

Das Wort Heimat besitzt viele Facetten. Eine durchaus berechtigte Frage ist es, ob sein Ursprung nicht letztendlich überhaupt im Heimatverlust zu suchen sei, im Gefühl, man habe sie verloren oder man sei zumindest davon bedroht, sie zu verlieren. Das würde auch erklären, warum dieser Begriff heute erneut Konjunktur zu haben scheint.

Vor anderthalb Jahrhunderten war der Heimatbegriff nicht zuletzt ein juristischer. Er wurde vor allem in Amtsstuben benutzt, in denen man sogenannte Heimatscheine ausstellte. Diese bezeugten die Heimatzugehörigkeit einer Person. Mit ihnen war das Anrecht verbunden, von seiner Heimatgemeinde im Fall sozialer Bedürftigkeit unterstützt zu werden. Man ließ sich bescheinigen, woher man war, wenn man seinen Herkunftsort verließ. Mag sein, dass dieser früher weithin geläufige Sprachgebrauch unseren heutigen Heimatbegriff entscheidend prägte. Damit der Leser besser beurteilen kann, inwiefern dies der Fall sein könnte, haben wir diesem Heft der Heimatblätter schließlich einige Fakten dazu beigefügt.

Ein in unserer Region besonders brisanter Aspekt des Heimatthemas taucht schließlich bereits auf dem Umschlag dieses Heftes auf: Eine Reihe von Orten wurde abgerissen und von Braunkohletagebauen überbaggert. Meist sind es nur noch alte Ansichtskarten und Fotos, die uns einen Eindruck von ihnen vermitteln können. Das ist dann genauso wie bezüglich der Orte, aus denen Menschen am Ende des Zweiten Weltkrieges flohen oder vertrieben worden. Dorthin können sie allerdings zumindest besuchsweise zurückkehren.

Mit dem breit gefächerten Angebot von Beiträgen über „Heimat und Fremde“, das dieses Heft unserer Heimatblätter enthält, hoffen wir ausreichend Stoff zum sachkundigen Diskurs über dieses hochbrisante Thema geboten zu haben. Dessen ungeachtet werden wir uns diesem auch weiterhin zuwenden, schließlich trägt unser Verein nicht ohne Grund den Namen Heimatverein des Bornaer Landes e. V.

Aus dem weiteren Inhalt:

Autor Beitrag
Dr. Hans-Jürgen Ketzer Vorwort
Erwin Rümenapp Nach Deutzen ins Exil
Helmut Hentschel Friedrich II., genannt der „der Große“, im Leipziger Land (1)
Dr. Hans-Jürgen Ketzer Philipp Mehlhose in seinem Verhältnis zur Gemeinde Großhermsdorf
Dorit Bieber Geschichte einer jüdischen Adoption in Löbichau
Karl-Heinz Feiner Die Bayern folgen dem Ruf der Braunkohle – Deutzen in Sachsen wurde zur neuen Heimat
Günter Neubauer Erinnerungen an meine Kindheit im Krieg und in der Flucht
Sabine Raabe Nach der Flucht aus Ostpreußen 1944 – Lebensstationen einer alleinstehenden Mutter
Elisabeth Brokowski Kindheitserinnerungen
Dr. Hans-Jürgen Ketzer Als Heimat noch ein juristischer Begriff war
Dr. Hans-Jürgen Ketzer Alte Heimat – wiederentdeckt (Hain und Trachenau)